Als ich Sonntagmittag ins Auto stieg um mit meinen Jungs in den Urlaub zu fahren, war mir nicht bewusst, dass ich damit auch gleichzeitig eine Reise in meine Kindheit antrete. Nicht, dass der Wagnerhof viele optische Gemeinsamkeiten mit unserem Hof in Kroatien (gehabt) hätte, nein, aber die Gefühle und Erinnerungen, die dort aufkamen, überrollten mich wie eine Lawine. Unerwartet, schnell und erbarmungslos. Auch wenn diese Adjektive in Normalfall negative Assoziationen hervorrufen bzw. negativ behaftet sind, sind sie es in meinem Fall nicht. Ich bin selten so glücklich, zufrieden, entspannt und wehmütig aus einem Urlaub nach Hause gefahren als letzten Donnerstag.
Obwohl ich nicht genau sagen konnte warum, wusste ich bereits vorher, dass es was Besonderes werden würde.
Nachdem wir gegen 15 Uhr bei schönstem Wetter in Kainisch, am Wagnerhof ankamen, aus dem Auto stiegen, und unser Felix sich gleich über das gesamte Gesicht strahlend auf die vielen kleinen Traktoren und Anhänger stürzte, löste sich ganz oben auf dem Berg – ich meine den Berg auf der Hinterseite des Hofs, ein kleiner Stein, der sich langsam in Bewegung setzte und immer schneller auf mich zurollte. Ich legte mich auf den Liegestuhl und beobachte das Geschehen…Felix außer Rand und Band. Innerhalb kürzester Zeit war der gesamte Fuhrpark an Traktoren, Anhängern, Bobby Car’s in Augenschein genommen, das Trampolin getestet, der Sandkasten mit Baggern, Schaufeln, Küberln und Co. benutzt, die Kühe kritisch beäugt, die Hasen begrüßt, der Hahn, der die Hühnerleiter rauf stolzierte, bewundert, die Katze gestreichelt, der kleine Bach mit kaltem Wasser entdeckt. Zu diesem Zeitpunkt waren wir noch weit davon entfernt auch nur eine Zehe ins Haus gesetzt zu haben. Essen, was ist das? Zu all dem kehrten noch die Hausherren mit viel Gebrumm vom Feld zurück. Zuerst kam Astrid, die Hausherrin, mit ihrem kleinen roten Traktor in den Hof gefahren. Ihr folgte Martin, der Bauer – wie Felix ihn liebevoll nannte, auf einem riesigen grünen Traktor samt Anhänger und ihren zwei Kindern, Selina und Paul. Der Stein war schon ums dreifache größer geworden und war mir gefährlich nahe. Auf Felix wirkten das Erscheinen der beiden Kinder und das gesamte Geschehen allgemein wie ein Magnet. Es zog ihn einfach in ihre Nähe. In die Nähe der Kinder, in die Nähe der Traktoren. Nach einem kurzen Beschnuppern war die Freundschaft zwischen Felix und Selina besiegelt. Dementsprechend traurig war Felix, als Selina mit ihren Eltern und Paul Eisessen fuhr. Wir witterten unsere Chance endlich unser Zimmer mit Balkon, im zweiten Stock des Hauses, zu beziehen und zu begutachten. Auf Fotos sehen Zimmer oft anders aus als dann in echt. In dem Fall war es nicht anders. Ich kann gar nicht sagen, was ich erwartet habe… Als wir die Tür aufsperrten und das renovierte, liebevoll eingerichtete Zimmer vorfanden, waren wir auf jeden Fall angenehm überrascht und fühlten uns sofort wohl. In der Zwischenzeit war Familie Steiner wieder zurück und das Beschnuppern der Kinder und auch der Erwachsenen ging in die zweite Runde. Wir Großen bewunderten die Gaststube, den Zubau des Hauses und waren gleich vollkommen entspannt und entschleunigt. Die Kleinen zeigten dem Neuankömmling ihre wahren Schätze: das Cabrio und den Pick Up. Felix war nicht mehr zu halten. Als wir Abendessen fahren wollten, mussten wir uns echt ins Zeug legen, um ihn von den beiden wegzubekommen. Beim Anblick der freiherumlaufenden Kühe auf der Straße zur Lenzbauerhütte, war aber alles vergessen. Das Essen war trotzdem zweitrangig, denn dort oben gab es auch so vieles zu Entdecken und Bestaunen. Vor allem zwei Oldtimer-Traktoren, die sehr netten, jungen, aufgeschlossenen Leuten gehörten und dem interessierten Felix alles bereitwillig erklärten, während Mama und Papa ihre zünftige Brettljausn genüsslich verputzten und dabei Sonne tankten. Trotz Müdigkeit kratze Felix unten dann immer noch genug Energie zusammen, um mit Selina und Paul ihr großes Arsenal an Fahrzeugen im inneren des Hauses zu begutachten. Noch mehr Traktoren, noch mehr Anhänger… Ich selbst kam kaum aus dem Staunen raus.
Der Stein rollte unentwegt weiter…
Der Wagnerhof ist super gelegen. Man kann von dort aus so viele Dinge machen. Wandern, Bergsteigen, Fischen, Klettern, Grundlsee besuchen und die 3-Seen Tour machen, nach Hallstatt fahren, die Salzwelten aufsuchen, den Dachstein erklimmen, in die Grimming Therme fahren…oder eben einfach am Hof bleiben und genießen. Wir entschieden uns für eine Mischung aus all dem. Einmal Hallstatt, zwei Mal Grundlsee, einmal Therme und ganz viel Hof. Ich wartete nur drauf, dass Astrid Arnold, Felix und/oder mich aus ihrer privaten Küche warf und sowas wie: „Habt’s kein eigenes Leben?” fragte. Aber das tat sie nicht. Und erzählte ganz viel aus ihrem gemeinsamen Leben am Hof. Vom Brotbacken und vom Kasn. Von Kindererziehung. Von den Aufgaben und Interessen der 4 Generationen, die es alle unter einen Hut zu bringen gilt.
Und Martin, der Bauer, fand selbst nach einem arbeitsreichen Tag im Stall (ein kleiner Stier erblickte das Licht der Welt, als wir dort waren), am Feld und am Hof die Zeit um uns aus seinem Alltag ein wenig zu erzählen. Arnold und ich hingen an seinen Lippen und fragten immer weiter…bis er sich dann doch irgendwann höflich aber bestimmt von uns verabschiedete und zu seiner Frau ging. Wir waren sprachlos. Könnt ihr euch grob vorstellen, was so ein Bauer alles wissen muss? Bzw. weiß? Wenn man Martin über seine Arbeit reden hört, kann man seine Leidenschaft dafür lebhaft nachempfinden. Er sprach von Gräsern und von Besamungen der Kühe, die er selbst durchführt. Über die soziale Intelligenz seiner Kühe und die Bindung zu ihnen. Er erklärte uns die optimale Zusammensetzung der Futtermittel, die dem Panzen die besten Mikroben bieten, damit die Kühe gute hoch qualitative Milch geben. Ich könnte das nie so wiedergeben, wie er uns das erklärt hat. Er sprach vom Milchpreis und den Kosten eines neuen Ladewagens. Er erzählte von den Aufgaben, die man sich in der Familie aufteilt. Und und und. Sie werden vermutlich nicht jedem Gast diesen tiefen Einblick in ihr Privatleben gewähren, deshalb sind wir umso dankbarer, dass sie es bei uns taten. Vielleicht war auch gerade das der Grund, dass wir bei ihnen wie zu Hause waren. Wir waren ein Teil dieses Bauernhofs, des Alltags, wenn auch nur für ein paar Tage und wenn auch gegen Bezahlung. Selbst bei der muss ich sagen – Astrid, Martin, nehmt es mir nicht übel – verkauft ihr euch unterm Wert.
Wir haben natürlich keinen Vergleich, aber dieser Urlaub am Bauernhof übertraf einfach unsere Erwartungen.
Die Empfehlungen der Hausherrin auch hinsichtlich der Gast-/Wirtshäuser sind bitteschön zu beherzigen. Nur ein einziges Mal taten wir es nicht und gingen auf eigene Faust in ein Lokal in Bad Mitterndorf. Naja, liebe Leut, es war halt was Essbares und es war uns eine Lehre. Sehr zum Weiterempfehlen ist die Eselalm. Ein wahres Paradies für Kinder.
Und so saß ich am Donnerstag wieder im Liegestuhl und sah dem Treiben auf der Wiese zu – Felix, Selina und Paul rächten das frisch gemähte Gras zusammen (heign sagen sie dazu), Martin mähte mit dem Traktor, Opa mähte mit dem Balkenmäher, Oma rächte großflächiger- und bemerkte dabei den Stein gar nicht, der sich gerade am Liegestuhl neben mir breitmachte. Plötzlich sah ich meinen Bruder, meine besten Freunde, Kristijan und Dejan und mich, wie wir gemeinsam die Gegend unsicher machten. Ich war plötzlich wieder das kleine Mädchen, das Mäuse, Glühwürmchen, Ameisen und andere kleine Krabbeltierchen einsammelte und eingehend studierte. Das Mädchen, das zur Erntezeit mit ihren Freunden aufs Feld fuhr und Kartoffeln, die die Erwachsenen beim Ausgraben vergessen haben, aufklaubte. Ich sah mich im Schoß meines Vaters sitzen, als wir auf ein Feld gefahren sind um Futter für unsere Kuh zu mähen. Ich hörte die Gespräche der Frauen, die jeden Tag mit ihren Milchkännchen frische Milch bei uns holten. Ich ertappte mich dabei, wie ich meine Oma beim Melken unserer „Erdbeere“ beobachtete und erinnere mich an den Stolz in der Stimme meiner Mutter, als sie zum 100sten mal erzählte, dass unsere Jagoda 20 Liter am Tag gab und wir mit dem Verkauf der Milch unseren Einkauf im Supermarkt bezahlt haben. Ich hatte plötzlich den Geruch eines gerupften Huhnes in der Nase und das Geschrei eines geschlachteten Schweins im Ohr. Ich saß am Mittagstisch, umgeben von vielen Nachbarn und Verwandten, die nach getaner Arbeit am Feld, gemeinsam ihren Feierabend genossen. Und die Erinnerungen kamen und kamen und kamen und kommen heute noch. Und es sind schöne, sehr schöne Erinnerungen.
Als wir im Auto Richtung Graz saßen, war ich mit Dankbarkeit, Glück, Zufriedenheit und Wehmut erfüllt. Dankbar meinen Eltern gegenüber, dass sie mir so eine Kindheit verschafft haben, Glück und Zufriedenheit, diese Erinnerungen mit meinem Mann teilen zu können und Wehmut, diese Kindheit meinem Kind bzw. meinen Kindern nicht geben zu können.
Der Dank gebührt aber vor allem euch, liebe Familie Steiner. Ihr habt mit eurem wunderschönen Hof und eurer Gastfreundschaft etwas in uns gelöst, das sich vermutlich sehr auf unser weiteres Leben auswirken wird. Danke!
Familie Astrid & Martin Steiner
Kainsch 20
A-8984 Bad Mitterndorf (vor der Gemeindefusionierung 8984 Pichl-Kainisch)
Steirisches Salzkammergut / Ausseerland
Telefon: 0043(0)3624/278
Mobil: 0043 (0) 650/ 78 28 400
E-Mail: wagnerhof-kainisch@aon.at
www.bauernhof-wagner.at